Forschungsschwerpunkt
Die Sorge um sich, um Andere und um die Umwelt spielt in individuellen Lebensentwürfen ebenso wie in sozialen Institutionen eine bedeutende Rolle. Die Sorge um sich wandelt sich im Kontext etwa von Digitalisierung und Individualisierung; die Sorge um andere weist zwischen professioneller Pflege und Mitleid für Opfer andernorts stattfindender Naturkatastrophen große Unterschiede auf; und Sorge um die Umwelt ist unter dem Stichwort Klimawandel allgegenwärtig. Die Vielfalt der Sorge äußert sich nicht zuletzt in der Vielfalt semantischer Konnotationen und Ableitungen wie Sorgfalt, Sorgsamkeit, Vorsorge, Fürsorge oder Versorgung – wobei die Sorge um sich, um andere und um die Umwelt leicht in Widerspruch zueinander geraten.
Im Jahr 2014 wurde der interdisziplinäre Forschungs- und Promotionsschwerpunkt „Dimensionen der Sorge“ am Evangelischen Studienwerk Villigst eingerichtet, in dem Soziologie, Theologie und Philosophie zusammenarbeiten. Der Schwerpunkt wurde nach Ende der ersten Förderphase in 2019 verlängert und läuft bis 2023.
Ziele
Zielsetzung des Forschungsschwerpunkts ist, der lebensweltlich-semantischen wie theoretischen Vielfalt von Bezügen der Sorge durch ein analytisches Konzept gerecht zu werden, das deren wechselseitige Inbezugnahme erlaubt. Sorge wird dabei verstanden als gegenwärtiger Zukunftsbezug und methodisch bestimmt als Beziehung zwischen einem sorgenden Selbst und einem „Worum“ seiner Sorge. Sorge um sich, Sorge um Andere und Sorge um die Umwelt ergeben sich als drei Relationen der Sorge, die durch eine historisch-genealogische Perspektivierung sowie durch Berücksichtigung möglicher Außenverhältnisse erweitert werden. Dieses Konzept der Sorge eröffnet Perspektiven im Hinblick auf die Frage, wie sich die Sorge als existentielle Komponente des Menschen in der Gegenwart manifestiert und welche Wege im Umgang mit der Sorge beschritten werden.
Aktuelle Schwerpunkte
Die zweite Förderphase nimmt zwei Fokussierungen vor: Erstens steht die normative Seite der Sorge nunmehr im Mittelpunkt. Glück, ein gutes Leben oder auch gute Beziehungen erfordern aktive Sorgebeziehungen als ein wechselseitiges Geben. Dies ist jedoch in einer individualistischen Leistungsgesellschaft schwer zu leben, da Sorge/das Engagement für andere dort tendenziell als Verlust angesehen wird. Wir fragen nach den Rahmenbedingungen, unter denen Resilienz, Altruismus und Nachhaltigkeit als aktive Dimension der Sorge um sich, um andere und um die Umwelt gefördert oder verhindert werden. Zweitens erfolgt eine Fokussierung der konkreten Forschungsfelder auf „helfende Berufe“ in einem umfassenden Sinne an, da sich hier Rahmenbedingungen aktiver Sorgebeziehungen besonders kondensiert untersuchen lassen. Es bleibt der übergreifende Anspruch zu untersuchen, wie die Bearbeitung einer existentiellen Sorge um das Heil des Selbst, der Gemeinschaft und der Welt bewältigt werden kann.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit
Die Dimensionen der Sorge werden primär aus soziologischer, philosophischer und theologischer Perspektive in den Blick genommen. Die verschiedenen disziplinären Zugänge stellen entsprechende Fragen unterschiedlich:
Soziologisch stehen Veränderungen sozialer Beziehungen und gesellschaftlicher Strukturen als Grundlage und Effekt von Sorgebeziehungen und damit die Konstruktion von Sorge im Mittelpunkt.
Philosophisch steht die Denkmöglichkeit von Sorge und deren Verhältnis zu menschlichen Grundkonstanten im Mittelpunkt.
Theologisch geht es sowohl um die geschöpflich begründete Sorge um sich selbst als auch um die Sorge für den anderen und im Hinblick auf beides um die Frage, inwiefern der Glaube Menschen sowohl von Sorge befreit als auch Sorge zumutet.
Fragestellungen aus den drei Disziplinen profitieren von der Auseinandersetzung mit den jeweils anderen. Durch den analytischen Rahmen besteht ein gemeinsamer Bezugspunkt zur Ordnung und Übersetzung fachspezifischer Überlegungen.
Rahmenbedingungen
Promovierende des Schwerpunkts profitieren von den Berührungspunkten und Synergien der beteiligten Disziplinen in vielfacher Weise:
Mit Blick auf Theorien und Methoden lernen sie disziplinär unterschiedliche Zugriffsweisen auf ähnliche theoretische Grundlagen und empirische Fragestellungen kennen.
Mit Blick auf wissenschaftliche Qualifizierung profitieren sie von der inhaltlichen und organisatorischen Mitgestaltung unterschiedlicher Tagungsformate sowie des interdisziplinären Dialogs.