Wissen und Macht in den USA
Regionale und soziale Disparitäten des Ausbildungs- und Qualifikationsniveaus ethnischer Minderheiten in den USA
Zeitraum: 1996-99
gefördert durch: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Bearbeiter: W. Gamerith
Inhalt: Das Projekt ist im Überschneidungsbereich von Bildungsgeographie, Sozialgeographie, Minoritäten- und Arbeitsmarktforschung angesiedelt. Im Mittelpunkt des Interesses stehen vor allem zwei Fragestellungen. Erstens war das Schulwesen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts sowohl in Europa als auch in Amerika eines der wichtigsten Instrumente zur Schaffung einer "kulturell homogenen Nation", so dass es auch immer wieder bewusst zur zwangsweisen Assimilation und nicht selten auch zur Unterdrückung ethnischer Minderheiten eingesetzt wurde. Die in Schulen zu verwendende Unterrichtssprache war in sprachlich gemischten Gebieten schon im 19. Jahrhundert ein Hauptgrund für Nationalitätenkonflikte und hat in neuester Zeit weltweit wieder eine hohe Brisanz erhalten (in den USA etwa unter den Hispanics und den Indianern).
Zweitens war eine hohe Ausbildung für verschiedene Minderheiten das wichtigste Mittel für einen sozialen Aufstieg. Deshalb verwundert es nicht, dass ethnische Minderheiten in vielen Ländern sowohl an der Spitze als auch an der Basis der Qualifikationspyramide überdurchschnittlich stark vertreten sind. Je mehr das Ausbildungsniveau und die berufliche Qualifikation den Zugang zu begehrten Berufen steuern, umso mehr kann ein überdurchschnittliches oder unterdurchschnittliches Ausbildungsniveau von Minderheiten zum Konfliktpotential werden. Fehlende Schulbildung wird auch als ein wichtiges Argument verwendet, um die bestehende soziale Diskriminierung einzelner Ethnien zu rechtfertigen. Aus all diesen Gründen sind hohe Dropout-Quoten und geringe schulische Leistungen ein fester Bestandteil im Teufelskreis der Armut. Auch die Segmentierung des Arbeitsmarktes wird in den USA und anderen Ländern einerseits durch das Ausbildungsniveau, andererseits durch die Zugehörigkeit zu einzelnen ethnischen Gruppen bestimmt. Die in diesem Projekt verfolgten Sonderauswertungen der Volkszählung und zahlreicher anderer Datenbestände dokumentieren erstmals den Anteil verschiedener ethnischer Minoritäten in detailliert aufgeschlüsselten Berufsgruppen und Hierarchieebenen des Arbeitsmarktes in der räumlichen Dimension. Zudem werden Zugangsbarrieren sowie Karriereverläufe von hochqualifizierten Angehörigen verschiedener Minderheiten untersuchen. Das Projekt befasst sich besonders auch mit der Basis der sozialen Schichtung und weist anhand der Dropout-Quoten, der unterschiedlichen Ausstattung und Finanzierung der Schulen sowie der unterschiedlichen Qualifikationen des Lehrkörpers nach, wie sehr Armut und Slumbildung mit dem Faktor Schule und Ausbildung verknüpft sind bzw. wie schwer dieser Zusammenhang in den USA zu durchbrechen ist. Eine Analyse des Schulwesens, des Bildungsverhaltens und der schulischen (akademischen) Leistungen von Minderheiten sowie der schulpolitischen Leitbilder und Maßnahmen des "Mehrheitsvolkes" ist in der heutigen meritokratischen Gesellschaft wohl einer der erfolgversprechendsten Ansätze, um die soziale und ökonomische Situation von ethnischen Minderheiten zu erfassen und zu erklären.
Die Wechselbeziehungen zwischen Wissen und Macht, eine Frage, der viele Philosophen (von Nietzsche bis Foucault) nachgegangen sind, sind nicht nur für die Minderheitenforschung, sondern für viele andere Fragestellungen der Geographie (Städtesysteme, office industry, Konzentration von headquarters, etc.) von zentraler Bedeutung. Dieser Ansatz ist sowohl funktional als auch konfliktorientiert anzuwenden und damit für die Makro- und Mikroebene gleichermaßen brauchbar.
Publikationen – Zeitschriften- und Buchbeiträge: Gamerith (1996; 1998a; 1998b; 1998c; 1998d; 1999b; 2002c; 2003; 2005d; 2005f; 2008b; 2009c; 2009d; 2012b), Gamerith / Messow (2003)
Sonstige Schriften: Gamerith, W. (2002): Ethnizität und Schule – Eine Analyse regionaler und sozialer Disparitäten der Ausbildungs- und Qualifikationsstrukturen US-amerikanischer Minderheiten. – [Habil.schrift Fak. f. Geowissenschaften, Univ. Heidelberg]. Heidelberg. 389 S.