Geschichte der Lehrstühle im Bereich Südostasienkunde
Als erste Universität der Bundesrepublik richtete die Universität Passau 1984 einen Lehrstuhl für Südostasienkunde ein. Weitere Universitäten (Berlin, Hamburg, Frankfurt und Bonn) folgten. Der erste Professor, der den Ruf erhielt, war der Historiker Bernhard Dahm, der den Lehrstuhl bis zu seiner Emeritierung 1997 leitete. Professor Dahms persönliches Forschungsinteresse bezog sich auf Indonesien und die Philippinen, aber auch auf gesamt-südostasiatische Themen. Zudem rückte Vietnam in den Fokus des Lehrstuhls, und viele Verbindungen wurden dorthin geknüpft. Ein wichtiger Schwerpunkt von Professor Dahms Lehre war das Erbe vorkolonialer kultureller Traditionen in den südostasiatischen Staaten in der post-kolonialen Zeit. Bekannt wurde Professor Dahm vor allem durch seine Biographie des ersten indonesischen Präsidenten Sukarno und durch sein Werk zu José Rizal, dem Nationalhelden der Philippinen.
Ab 1993 bekam Professor Dahm Unterstützung durch die Einrichtung der Professur für Sprachen und Kulturen von Thailand und Laos, die Professor Harald Hundius bis zu seiner Emeritierung 2005 innehatte. Für die verschiedenen Themen zu Moderner Geschichte, Sprache und Literatur, die nun angeboten werden konnten, interessierten sich vor allem Studierende des 1989 ins Leben gerufenen Diplom-Studiengangs Kulturwirtschaft, bei dem man sich auf Südostasien spezialisieren konnte. Seit der Etablierung des Lehrstuhls für Südostasienkunde fand auch die Sprachenausbildung in südostasiatischen Sprachen Eingang in den Lehrplan. Zunächst wurden Indonesisch und Thai angeboten, ab 2005 kam ein Lektorat für Vietnamesisch hinzu.
Die Nachfolge Professor Dahms trat mit Professor Vincent Houben (1997-2001) ebenfalls ein Historiker an. Das Forschungsinteresse des Niederländers bezog sich auf die Kolonial- und Imperialgeschichte Südostasiens mit dem Schwerpunkt auf Indonesien. Über seinen Länderschwerpunkt hinaus beschäftigte er sich intensiv mit dem intra-regionalen Vergleich als Methode für die Umsetzung der Südostasienstudien. Als Professor Houben dem Ruf an die Humboldt Universität Berlin folgte, erlebten die Südostasienstudien eine Übergangsphase mit verschiedenen Vertretungsprofessoren. Dies waren zunächst die Politikwissenschaftlerin Mary Somers Heidhues und der Ethnologe Stefan Dietrich. Von 2003 bis 2004 leitete der Politikwissenschaftler Professor Mark Thompson den Lehrstuhl übergangsweise.
Im Zuge der Stärkung der Südostasienkunde an der Universität Passau wurde 2004 die vorherige C3-Professur zu einem Lehrstuhl aufgewertet. Damit erfolgte die Aufteilung in Insulares und Festland Südostasien, die bis 2013 erhalten blieb. Die Berufungen ergingen 2004 an Professorin Susanne Schröter für den Lehrstuhl Südostasienkunde I - Insulares Südostasien und an Professor Rüdiger Korff für den Lehrstuhl Südostasienkunde II - Festland Südostasien. Damit vollzog sich eine Verschiebung von einem geschichtswissenschaftlichen zu einem kultur- und sozialwissenschaftlichen Schwerpunkt. Die Themenschwerpunkte des Soziologen Rüdiger Korff lagen auf Urbanität und Staatsbildung. Die Ethnologin Susanne Schröter beschäftigte sich bevorzugt mit den Themen Religion und Gender. 2008 folgte sie dem Ruf an die Goethe-Universität Frankfurt, und Professor Emeritus Tilman Schiel vertrat den Lehrstuhl in der Übergangsphase bis 2013. Der Soziologe Schiel lehrte vor allem über gesellschaftliche Veränderungen in Südostasien und Entwicklungstheorien.
Ab 2005 erfolgte an der Universität Passau die Umstellung der Studiengänge auf das neue Bachelor- und Mastersystem. Neben den Studierenden des Bachelors und Masters Kulturwirtschaft / International Cultural and Business Studies sollten weitere Studierende für die Südostasienstudien gewonnen werden. So lief im Wintersemester 2007/08 der Masterstudiengang Southeast Asian Studies an, der vor allem internationale Studierende aus Südostasien nach Passau lockte.
2013 kam es zu einer weiteren Umbenennung der Südostasien-Lehrstühle. Der Lehrstuhl für Insulares Südostasien wurde als Lehrstuhl für Vergleichende Entwicklungs- und Kulturforschung – Fokus Südostasien mit der Agrarsoziologin Martina Padmanabhan neu besetzt. Die inhaltlichen Schwerpunkte lagen von nun an auf den Themen Nachhaltigkeit, Institutionen und Gender. Der Lehrstuhl für Festland Südostasien verblieb unter der Leitung von Professor Korff, wurde aber in Lehrstuhl für Südostasienstudien umbenannt und knüpfte damit an die Ursprünge der Südostasienkunde in Passau an. Thematisch verfestigte sich die sozialwissenschaftliche Perspektive auf die Region. 2015 wurde der Südostasienschwerpunkt Bestandteil des neu etablierten Masterstudiengangs Development Studies, der den Master of Southeast Asian Studies beerbte.
Professor Rüdiger Korff wurde 2020 emeritiert, und es folgte eine Neuausrichtung des Lehrstuhls für Südostasienstudien hin zu Entwicklungspolitik. Nach einer Übergangszeit erhielt Wolfram Schaffar 2021 den Ruf an die Universität Passau und leitet seitdem den Lehrstuhl für Entwicklungspolitik. Der regionale Schwerpunkt liegt nun auf den Ländern Thailand und Myanmar, es werden aber auch Bezüge zu Ostasien, vor allem China, hergestellt. Die thematische Auseinandersetzung erfolgt zu internationaler Entwicklung, sozialen Medien und (Ent)Demokratisierung sowie Staat und Staatlichkeit.
Nach einem Prozess interner Diskussionsrunden erwirkte Professorin Padmanabhan 2022 die Umbenennung ihres Lehrstuhls in Kritische Entwicklungsforschung Südostasien. Die Absicht dabei war, den Ursprung des Lehrstuhls in den Südostasienwissenschaften beizubehalten und gleichzeitig mit kritischen akademischen Perspektiven in verschiedenen sozialwissenschaftlichen Disziplinen zusammenzuarbeiten, um ihn mit Blick auf universitäre Forschung und Lehre im 21. Jahrhundert umzugestalten. Thematisch wurde der Lehrstuhl damit um Themen wie die feministische politische Ökologie (FPE), Postdevelopment, die dekoloniale Theorie und New Area Studies erweitert.
Im Jahr 2023 wurden beide Lehrstühle in die neu gegründete Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät integriert.