„Spatial Beliefs“ im Kontext Schule
Little Boxes? Raumbezogene Überzeugungen angehender und praktizierender Lehrkräfte im Kontext Schule
Obwohl Raum eine zentrale und durchaus weitreichend erforschte soziale Kategorie darstellt und wir als räumlich konstituierte Wesen handeln, bleibt Raum als pädagogische Kategorie im schulischen Kontext nach wie vor ein Desiderat in Bildungsforschung und pädagogischer Praxis (vgl. Bentlin & Klepp 2021, Sesink 2014). Die wenigen verfügbaren Studien in diesem Themenfeld lassen unter anderem darauf schließen, dass praktizierende Lehrkräfte weitgehend mit einem deterministischen Raumverständnis operieren (vgl. Deinet 2007) - das erschwert die Entwicklung emanzipatorischer Raum-Praktiken, die wiederum notwendig sind, um mit spezifischen aktuellen Anforderungen an Schulen umzugehen (OECD 2022).
Kulturelle Auseinandersetzungen mit und Erfahrungen in gebauten Umgebungen in diversen Lern- und Bildungsräumen prägen zentrale biografische Orientierungen (vgl. Deinet & Reutlinger 2014, Beutlin & Klepp 2021). Dies ist der Ausgangspunkt des hier skizzierten Forschungsvorhabens, das Perspektiven der Raumsoziologie, der Forschung zur Lehrkräfteprofessionalisierung und der praxeologischen Wissenssoziologie integriert (vgl. Löw 2001, Bohnsack 2014, Matthes 2016, Matthes & Herrmann 2018) und auf bildungs- und berufsbiografischer Raumforschung aufbaut (vgl. Meusburger 1998, Schenz 2012, Hansen 2019).
Das Ziel ist es, zentrale Typen subjektiver räumlicher Konstitutionen (angehender) Lehrkräfte im schulischen Kontext abzuleiten (vgl. Kluge & Kelle 2010), um sowohl individuelle Ansätze in ihrer (berufs)biografischen Relevanz als auch die Bedeutung struktureller Faktoren im nationalen wie internationalen Vergleich sichtbar zu machen. Dies dient als Grundlage für die Weiterentwicklung emanzipatorischer räumlicher Praktiken in Bildungskontexten.
Die Forschung konzentriert sich auf folgende Fragestellungen:
- Wie platzieren (angehende) Pädagog*innen Menschen und Objekte innerhalb der Synthese „Klassenzimmers“ und wie begründen sie diese Platzierungen?
- Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede können in der räumlichen Konstitution (angehender) Pädagog*innen im internationalen Vergleich sowie im Vergleich verschiedener Karrierestufen und beruflicher Handlungsfelder identifiziert werden (Querschnittsanalyse)?
- Inwieweit können Veränderungen in der subjektiven räumlichen Konstitution im Verlauf der akademischen Professionalisierung identifiziert werden, und wie werden diese Veränderungen begründet (Längsschnittanalyse)?
Um diesem Erkenntnisinteresse nachzugehen, wird ein qualitativ-visuelles Kombinationsverfahren angewendet, das die Erstellung von Zeichnungen (Gruppe 1) bzw. die Manipulation von visuellen Darstellungen (Gruppe 2) mit einem narrativen Ansatz (MP 1) bzw. halbstrukturierten Expert*innen.Interviews (MP 2) kombiniert. Die Daten werden mittels inhaltsanalytischer Methoden ausgewertet (vgl. Beutlin & Klepp 2021, Ecarius 2008, Ruokonen-Engler 2018, Meuser & Nagel 2010, Mayring & Fenzl 2019). Die Stichprobe umfasst (angehende) pädagogische Fachkräfte in verschiedenen Karrierestufen und Bildungssystemen.
- Bentlin, F./ Klepp, S. (2021): Visuell-biografische Interviews zur Analyse von Lern- und Raumerfahrungen, in: Heinrich, A. J./ Marguin, S./ Million, A./ Stollmann, J. (Hrsg.): Handbuch qualitative und visuelle Methoden der Raumforschung. Bielefeld: transcript Verlag, S. 165-181.
- Bohnsack, R. (2014): Rekonstruktive Sozialforschung. Opladen u. a.: Verlag Barbara Budrich.
- Deinet, U./ Reutlinger, C. (2014): „Aneigung“ als Bildungskonzept in der Sozialpädagogik. Beiträge zur Pädagogik des Kindes- und Jugendalters in Zeiten entgrenzter Lernorte. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaft.
- Ecarius, J. (2008): Biographieforschung und Lernen, in: Krüger, H-H./ Marotzki, W. (Hrsg): Handbuch erziehungswissenschaftlicher Biographieforschung, 2. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 91-108.
- Kluge, U/ Kelle, S. (2010): Vom Einzelfall zum Typus. Fallvergleich und Fallkontrastierung in der qualitativen Sozialforschung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaft.
- Löw, M. (2001): Raumsoziologie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
- Matthes, D. (2016): Wie wird “Raum” für Lehrpersonen thematisch? Über die Notwendigkeit einer empirischen Rekonstruktion schulischer Architekturen. In: Ludwig, J./ Ebner von Eschenbach, M./ Kondratjuk, M. (Hrsg.): Sozialräumliche Forschungsperspektiven, Disziplinäre Ansätze, Zugänge und Handlungsfelder. Opladen u. a.: Verlag Barbara Budrich, S. 127-148.
- Matthes, D/ Herrmann, I. (2018): (Neue) Wege zum Raum. Erziehungswissenschaftliche Perspektiven qualitative-rekonstruktiver Forschungspraxis, in: Maier, M. S./ Keßler, C. I./ Deppe, U./ Leuthold-Wergin- A./ Sandring, S. (Hrsg.): Qualitative Bildungsforschung. Methodische und methodologische Herausforderungen in der Forschungspraxis. Wiesbaden: Springer VS, S. 247-270.
- Mayring, P./ Fenzl, T. (2019): Qualitative Inhaltsanalyse, in: Baur, N./ Blasius, J. (Hrsg.): Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung. 2. Aufl. Wiesbaden: Springer VS
- Meusburger, P. (1998): Bildungsgeographie. Wissen und Ausbildung in der räumlichen Dimension. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag.
- Meuser, M./ Nagel, U. (2010): ExpertInneninterview, in: Becker, R./ Kortendiek, B. (Hrsg.): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. 3. Aufl. Wiesbaden VS Verlag für Sozialwissenschaft, S. 376-379.
- OECD (2022): Trends Shaping Education 2022. Paris: OECD Publishing.
- Ruokonen-Engler, M-K. (2018): Biografie und Bildung, in: Lutz, H./ Schiebel, M./ Tuider, E. (Hrsg.): Handbuch Biographieforschung. Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 439-448.
- Schenz, C. (2012): LehrerInnenbildung und Grundschule. Pädagogisches Handeln im Spannungsfeld zwischen Gesellschaft und Person. München: Utz.
- Sesink, W. (2014): Überlegungen zur Pädagogik als einer einräumenden Praxis, in: Rummler, K. (Hrsg.): Lernräume gestalten – Bildungskontexte vielfältig denken. Münster u. a.: Waxmann, S. 29-43.