Ehemalige Stipendiatinnen und Stipendiaten
Gianna Behrendt (laufend): "Wie die Natur es vorgesehen hat - Transzendente Natur als Erfahrungsgegenüber im Zeitalter ambivalenter Weltbeziehungen."
Vorstellungen einer intrinsisch wertvollen Sphäre der Natur sind in sämtlichen kulturpraktischen Ausdrücken der Gegenwart präsent: Sie begründen die moderne Ökologie, äußern sich in der Sehnsucht nach ‚unberührter‘ Natur und schlagen sich in einer blühenden Outdoorindustrie nieder. Darüber hinaus liegen sie vorherrschenden Auffassungen von Körpergestaltung und Ernährung, Erziehung und Beziehungsnormen zugrunde. Zugleich zeugen Zugriffe auf nichtmenschliche Ressourcen und die Ausweitung biologischer Gestaltbarkeit von einem im postaufklärerischen, spätmodernen Kapitalismus strukturell geförderten, rational-instrumentellen Verhältnis zu dem, was kulturpraktisch als ‚Natur‘ erzählt wird. Das vorliegende Dissertationsprojekt geht vom Zwiespalt zwischen einer verdinglichenden Haltung und einem aus der romantischen Gegenbewegung hervorgehenden, kontemplativen Verhältnis zur Natur aus. Die legitimatorischen Bezugnahmen auf ein Naturnarrativ wiederum werden als spezifisch moderne, säkularisierte Ausdrucksformen eines anthropologisch konstitutiven Weltverhältnisses der Sorge interpretiert. Übergreifend soll dabei die Frage verhandelt werden, inwiefern das (nicht zuletzt epistemische) Hervortreten der Natur als verdinglichte, moralische Autorität mit der Unverrückbarkeit ihrer festgeschriebenen Gesetze – im Gegensatz zur als kontingent geltenden Kultur – zusammenhängt. Dazu wird die spezifische Semantik kulturpraktischer Erzählungen sowohl einer im Subjektinneren verorteten Natur als auch der empfundenen Antwortqualitäten eines äußeren Naturakteurs kritisch analysiert - etwa das Desiderat der ‚natürlichen‘ Geburt oder der diskursiv erzeugte Kausalzusammenhang zwischen anthropogenem Klimawandel und Extremwettereignissen. Die subjektiv empfundene Plausibilität einer moralisch gewichtigen Natur, so die Vermutung, ist auf strukturell religiöse Beziehungssehnsüchte zurückzuführen, die sich auf eine gleichsam transzendente Natur richten. Das theoretische Gerüst der Arbeit beruht vornehmlich auf phänomenologisch-anthropologischen und beziehungstheoretischen Ansätze der Kritischen Theorie, denen ein konstitutives Motiv des ‚In-der-Welt-Seins‘ gemein ist. Insbesondere werden Hartmut Rosas Resonanztheorie und Charles Taylors philosophische Anthropologie herangezogen. Nicht zuletzt folgt die Arbeit einem ideologiekritischen Impetus mit dem alltagsphänomenologisch begründeten Versuch, aus dem Zirkel von Affirmation und Kritik gegenüber den cartesianischen Dualismen auszubrechen und die Frage nach den sozial relevanten Akteuren neu zu stellen.
Johanna Fröhlich (laufend): "(Grenzen der) Sorge um (unbekannte) Andere."
Im Promotionsprojekt ‘(Grenzen der) Sorge um (unbekannte) Andere’ setze ich mich auf einer fundamentalen Ebene mit der grund- sätzlichen Begrenzung von Sorge auseinander. Sorge ist immer in der einen oder anderen Weise begrenzt: Es ist in der Praxis unmöglich, sich um alles und jeden in gleicher Weise zu sorgen. Mein Projekt hat das Ziel zu ergründen 1) welche Akteure für das entstehen von Sorgebe- ziehungen relevant sind, 2) welche Art von Sorgestrukturen in Sorgebeziehungen entstehen, 3) wie Sorgebeziehungen begrenzt werden und 4) wie Sorgestrukturen konkrete Handlungen nach sich ziehen.
Ich gehe dabei von einer leibphänomenologisch geprägten Sozialtheorie aus und untersuche nicht nur körperliche Vorgänge, sondern nehme das leibliche exzentrisch positionierte Selbst in den Fokus. Dieses erlebt sich im Hier und Jetzt auf seine Umwelt bezogen und sorgt sich um seine es selbst betreffende Zukunft.
Zur empirischen Bearbeitung meines Problems gehe ich qualitativ vor und arbeite mit einem ethnographischen Forschungsdesign (das heißt mit Teilnehmenden Beobachtungen und Interviews) und wende mich einer Gruppe von Personen zu, die aktiv ihre Sorge nach außen tragen und gleichzeitig für eine bewusste Grenzziehung plädieren. Ich fokussiere mich empirisch auf Personen und Organisationen, die ‘der Neuen Rechten’ zugeordnet werden.
Auch wenn sich meine Studie im politischen Feld bewegt, verstehe ich sie explizit nicht als politisch: Ich gehe rein phänomenologisch vor und versuche anhand der im politischen Bereich deutlich werdenden Sorgestrukturen, Sorge als Konzept zu untersuchen.
Henk van Gils (2019): "Praktische Identitäten als erfolgreicher Leitfaden für praktische Deliberation: Vereinheitlichung und Exploration als Ideale"
wir für unsere Kinder da sein und in unserem Beruf möchten wir die Möglichkeit haben, so viel Zeit wie nötig in unsere Karriere zu investieren. Wenn wir uns dazu verpflichten, sowohl für unsere Kinder, als auch für unsere Karriere so viel Zeit wie möglich aufzuwenden, wird es unmöglich sein, die Ansprüche beider Verpflichtungen zufriedenstellend zu erfüllen. In solchen Momenten, wenn unsere praktischen Identitäten in Konflikt miteinander stehen, gerät unser Wille in einen Zustand von volitionaler Uneinigkeit. In meinem Dissertationsprojekt analysiere ich, wie eine Person am besten mit dem Zustand volitionaler Uneinigkeit umgehen kann.
Unsere praktische Identitäten — als Elternteil, Arbeitnehmer*in, Hobby-Klavierspieler*in, Freund*in von Charlotte — sind für uns Ideale, die zugleich einen Leitfaden für unser Handeln bilden. In Falle von volitionaler Uneinigkeit haben wir Leitfaden (praktische Identitäten), die uns in konfliktierende, sogar gegensätzliche Richtungen weisen. Im philosophischen Diskurs wird solch eine Person als handlungsunfähig dargestellt, da sie nicht weiß, was sie tun muss. Die Lösungen zu diesem Problem, welche in der Literatur vorgeschlagen werden, beinhalten immer, wie ich es bezeichne, das Vereinigungs-Ideal: eine Person muss ihre Identitäten priorisieren und somit entscheiden, welche wichtiger für sie ist. In meinem Dissertationsprojekt lege ich dar, warum eine Person ihre volitionale Uneinigkeit nicht durch Vereinigung überwinden muss. Eine Person kann auch die volitionale Uneinigkeit als Teil ihrer Selbst verstehen. Dies würde darin resultieren, dass sie in mehrere Handlungen über die Zeit hinweg den volitionale Konflikt zum Ausdruck bringt. Das zentrale Unterschied zwischen dem Verständnis von Konklusion in meinem Dissertationsprojekt und dem gängigen Diskurs ist der Vorschlag volitionale Uneinigkeit als einen Problem über der Zeit hinweg zu betrachten und nicht als ein Problem, das in jedem Moment der Entscheidung für oder gegen eine Handlung wieder neu auftaucht.
Nicole Kirschbaum (laufend): "Carol Gilligans Ethics of Care. Perspektiven für die Religionspädagogik."
Carol Gilligan hat aus der Kritik an klassischen strukturgenetischen Entwicklungspsychologien heraus das Konzept der Ethics of Care entwickelt. Ihr fällt auf, dass Mädchen und Frauen in Kohlbergs Modell zum moralischen Urteil, das sich an der Maxime der Gerechtigkeit orientiert, niedriger eingestuft werden als Jungen und Männer. Sie zeigt auf, dass die Arbeiten von Jean Piaget und Lawrence Kohlberg zwar auf der Arbeit mit einer rein männlichen Stichprobe basieren, aber dennoch Universalitätsanspruch erheben. Im Anschluss an diese Beobachtung entwickelt sie neben der Gerechtigkeitsperspektive eine zweite Perspektive für moralische Urteile: die Ethics of Care.
Menschen, die aus der Perspektive einer Ethics of Care urteilen und handeln, orientieren sich nicht wie bei der Gerechtigkeitsperspektive primär an festgeschriebenen Gesetzen und Normen. Bei moralischen Entscheidungen kommt es ihnen vielmehr auf die Beziehung des Selbst zu den Mitmenschen an. Ein Urteil ist entsprechend kontextgebunden. Sowohl das Zeigen von Anteilnahme als auch das Wahrnehmen der Verantwortlichkeit im sozialen Beziehungsgeflecht stehen im Fokus. Gilligan weist durch die von ihr postulierte Pluralität in der menschlichen Kognition darauf hin, dass die universalistische Perspektive Kohlbergs zu relativieren ist.
Es ist anzunehmen, dass eine kritische Rezeption der Ethics of Care von Carol Gilligan wichtige Impulse für die Religionspädagogik vermitteln kann, wie dies bereits im Bereich der Pflegewissenschaft der Fall ist. Die grundlegenden Fragen der Studie sind dabei folgende: Inwiefern unterscheidet sich Carol Gilligans Ethics of Care von einer strukturgenetischen kognitivistischen Entwicklungspsychologie? Worin liegen die Stärken und Schwächen ihrer Theorie? Wie können die beiden Perspektiven Gerechtigkeit und Care im Religionsunterricht im Umgang mit biblischen Texten, ethischen Konflikten und persönlichen Identitätsfragen der Schülerinnen und Schüler fruchtbar gemacht werden?
Richard Paluch (laufend): "Sorgefall: Technisierte Selbstversorgung. Eine sozialwissenschaftliche Analyse der Interaktionsbeziehungen von Personen mit einer Hörgeräteversorgung bezogen auf die Technisierung der Sorge."
In der Dissertation wird untersucht, wie der Einsatz von Hörsystemen die Umweltbeziehung und das Interaktionsverhalten von Personen mit einer Hörbeeinträchtigung strukturiert. Wenn Personen mit einer Hörbeeinträchtigung ein Hörgerät tragen, verändert sich – so die Hypothese – das Verhältnis zu anderen und zu sich selbst. Zum einen wird herausgearbeitet, welche unterschiedlichen Dimensionen der Sorge existieren. Zum anderen, welche Bedeutung der auditiven Sinneswahrnehmung für die Ordnung des Sozialen zukommt.
Franziska Schade (laufend): "Religiöse Selbstsorge von Jugendlichen. Die religiösen Bedürfnisse Heranwachsender im Kontext Jugendkirchlicher Arbeit."
Im Jugendalter befindet sich der Mensch mit seiner Entwicklung in einer Suchbewegung. Lebenskonzepte werden ausprobiert und solange wieder verworfen, bis ein passendes Konzept gefunden ist. Das gilt auch für die religiöse Entwicklung.
Ziel des Forschungsprojektes ist es, zu untersuchen, welche Angebote und Strukturen Jugendliche für sich während der Ausübung und Entwicklung ihres Glaubens wünschen und aufsuchen. Gleichzeitig ist dabei zu fragen, ob die Jugendlichen die Angebote tatsächlich aufsuchen, weil es explizit religiöse Angebote sind oder ob dort nicht andere Motivationen ausschlaggebend sind.
Grundlegend für diese Forschungsarbeit ist die Annahme, dass die meisten Jugendlichen ein Interesse daran haben, ihre Religiosität zu erkunden und zu erweitern. Sie wissen darüber hinaus sehr genau, was sie in ihrer religiösen Entwicklung weiterbringt und was ihnen für die Ausübung ihres Glaubens wichtig ist.
Methodisch sollen mittels qualitativer Interviews solche Jugendlichen interviewt werden, die sich in Jugendkirchen engagieren oder deren Angebote wahrnehmen. Jugendkirchen stellen eine spezielle Form kirchlicher Jugendarbeit dar und bieten durch ihre Angebotsstrukturen vielfältige Anknüpfungspunkte für die Jugendlichen. Vor dem Hintergrund der Feststellung, dass Jugendliche sich von den traditionellen Angeboten der Kirche in der Regel nicht angesprochen fühlen, soll erörtert werden, inwieweit die spezielle Form der Jugendkirchen einer religiösen Sorge um Jugendliche nachkommt, inwiefern sie ihnen einen Raum bieten, in dem sie ihre eigene Religiosität ausdrücken, entwickeln und leben können. Im Bezug auf konkrete Standorte muss darüber hinaus danach gefragt werden, wie die Heranwachsenden das Angebot vor Ort wahrnehmen und beurteilen und ob es noch andere Aspekte abseits der jugendkirchlichen Arbeit gibt, die die Jugendlichen als konstitutiv für ihre eigene Religiosität empfinden.
Stefanie Schniering (2020): „Sorge und Sorgekonflikte. Eine empirisch begründete Theorie der Zerrissenheit.“
Stefanie Schniering untersucht in ihrer Dissertation das Deuten und Handeln Pflegender in der ambulanten Pflege am Beispiel der Versorgung alleinlebender Menschen mit Demenz. Die Arbeit verortet sich im Kontext der Kritischen Theorie. Zur theoretischen Einbettung der Ergebnisse werden die Theorien der Anerkennung (A. Honneth), der Gefühle (A. Heller) und Resonanz (H. Rosa) sowie das Professionalisierungsverständnis nach U. Oevermann herangezogen. Die Analyse der episodischen Interviews mit Pflegenden offenbart die Zerrissenheit Pflegender in der beruflichen Pflegebeziehung zwischen persönlichem Involviertsein und Verdinglichung. Dieses zentrale Phänomen wird anhand von vier Typen der Zerrissenheit expliziert. Die Ergebnisse werden in einer Kritik der Anerkennungsverhältnisse zusammengeführt. Deutlich wird, dass diese Zerrissenheit nicht durch einzelne Pflegende langfristig aufgelöst werden kann, sondern systemische Veränderungen dringend notwendig sind.
Tina Schröter (laufend): "Der Kodex der Kurve. Eine empirische Studie über Sorgepraktiken der Ultra-Szene."
Philipp Zeltner (laufend): "Molekularbiologie im Spannungsfeld von Bioethik, Biopolitik und Bioökonomie. Eine artefaktbiographische Fallstudie der Technologien des genome editing mit CRISPR-Cas9."
Das Promotionsvorhaben befasst sich mit der Frage, wie sich menschliche Selbstverhältnisse, ökonomische Verhältnisse und Machtverhältnisse kontemporärer Gesellschaften in Wechselwirkung mit molekularbiologischer Wissensproduktion und Technologieentwicklung verändern und ist damit im Grenzbereich von soziologischer Wissenschafts- und Technikforschung und macht- und ökonomiekritischer Gesellschaftstheorie verortet. Sein Ziel ist es herauszuarbeiten, wie sich gesellschaftliche Verhältnisse über die Wissensproduktion und Technologieentwicklung der Molekularbiologie in die Materialität und Diskursivität molekularbiologischer Objekte und Wissensbestände einschreiben und darüber vermittelt auf sich selbst zurückwirken. Die empirische Analyse konzentriert sich dabei auf den Gegenstandsbereich der Genese kontemporärer Methoden des genome editing unter Verwendung von CRISPR-Cas9 sowie ihren gesellschaftlichen Auswirkungen im Spannungsfeld von Biowissenschaften, Bioethik, Biopolitik und Bioökonomie. Methodisch wird auf das in der soziologischen und historischen Wissenschafts- und Technikforschung etablierte Konzept der Artefaktbiographie zurückgegriffen; dieses wird jedoch um macht- und ökonomiekritische Perspektiven auf die gesellschaftstheoretische Ebene hin erweitert. Vermittels dieser dispositivanalytischen Artefaktbiographie der Methoden des genome editing liefert die Arbeit einen aktuellen Beitrag zu den Debatten einer ökonomisch durchdrungenen Genealogie der Biopolitik und Genealogie der Sorge im molekularbiologischen Gegenstandsbereich und eine Antwort auf die Frage, wie sich dadurch gesellschaftliche Verhältnisse einschließlich menschlicher Selbst- und Weltverhältnisse transformieren.
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