Fachtagungen
Bauhaus-Universität Weimar, 2./3. Juni 2023
(Inhalt folgt)
Kassel, Museum für Sepulkralkultur, 24./25. März 2023
Der Tod ist bekanntlich ein Problem der Lebenden. Somit weisen alle wissenschaftlichen For-schungsbereiche, die sich mit dem (Zusammen-)Leben der Menschen befassen, auch Berührungs-punkte zu Sterben und Tod, zu Abschied und Gedenken, zur Endlichkeit und zu den Versuchen auf, das Unvermeidliche zu bewältigen.
2010 entstand die seither jährlich stattfindende transmortale. Sie richtet sich, in diesem Jahr am ersten Tag thematisch offen, an junge Wissenschaftler:innen, die sich in der Abschlussphase einer Qualifikationsschrift befinden, aber auch an Postdocs und andere interessierte Forschende. Ziel ist eine interdisziplinäre Auseinandersetzung, die empirische wie auch theoretische Ansätze zusammenführt und einen intensiven Austausch eröffnet.
Am zweiten Tag wird – thematisch im Einklang mit der kommenden Sonderausstellung – das spezifische Thema ›Trost‹ aus transdisziplinärer Sicht von Nachwuchs- und von erfahrenen Wissenschaftler:innen beleuchtet. Das Trösten ist eine ritualisierte Interaktionsform, die mit Sterbe- und Trauerkontexten eng verbunden ist, aber auch bei anderen Enttäuschungs- bzw. Verlusterfahrungen virulent wird. Durch Trost werden bestehende Problemlagen zwar nicht verändert, die entsprechenden sozialen Gesten symbolisieren aber, dass der erlittene Einschnitt nicht alleine bewältigt werden muss. Trösten lädt zur Reflexion des Geschehenen ein, ohne den Schmerz des Verlustes zu betäuben.
Nähere Informationen hier.
Gemeinsame Tagung des AK Filmsoziologie und des AK Thanatologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie
Universität Passau, 18. und 19. November 2022
organisiert von Thorsten Benkel und Carsten Heinze
Film und Tod stehen in einem vielfältigen Verweisungszusammenhang, der sich von formalen Analogien über genretypische, thematisch-inhaltliche Aspekte bis hin zu Fragen des gesellschaftlichen Verhältnisses von Tod und Sterben und zu den kulturhistorischen Veränderungen dieses Diskurses zieht. Siegfried Kracauer meinte im Film ein Erlösungsmoment durch die »Errettung der äußeren Wirklichkeit« zu erkennen; für Edgar Morin wiederum ist der Kinematograph ein Apparat zur Erzeugung zeitloser menschlicher Doubles. Im Film wird der Mensch jedenfalls mit seiner Vergänglichkeit konfrontiert, der Film verrät aber auch, wie mit Tod und Sterben innerhalb von Gesellschaften umgegangen wird und wie ihre Vorstellungen und Bilder geprägt sind.
Die Bewegtbilder des Films implizieren ebenso sehr Lebendigkeit, wie sie zugleich als Todessignale interpretiert sind – denn das Gezeigte überdauert das Hier und Jetzt und schreibt Geschehnisse fest, die längst vergangen sind, wenn sie betrachtet werden. Im Film sind die Toten wieder lebendig und für das Publikum sogar ›zugänglicher‹ bzw. ›handhabbarer‹, als sie zu Lebzeiten waren. Überhaupt transzendiert das filmisch Gezeigte die Möglichkeiten subjektiver Erfahrung, und das gilt auch und gerade für den unvermeidbaren Übergang vom Leben in den Tod.
Sterben, Tod und Trauer haben die Kulturgeschichte des Films von seinen Anfängen an motivisch begleitet. Die Nähe des Thanatologischen zu romantischen wie auch zu expressionistischen Diskursen trifft sich in den Anfangsjahren des Films mit einer erheblich angestiegenen gesellschaftlichen Aufdringlichkeit des Sujets, die u.a. durch die zunehmend industrialisierte Kriegsführung provoziert wurde. Bis heute spiegeln die einschlägigen filmischen Evokationsformen das breite Panorama sämtlicher Genres und Präsentationsweisen wider. Das Leben endet auf der Leinwand oder auf dem Monitor, und es wird thematisiert im Spiel- wie im Dokumentarfilm, es taucht bald explizit oder bald nur in Andeutungen auf, es ist ein meist obligatorisch nebensächliches und nur hin und wieder explizit vordergründiges Sujet. Dass Menschen sterben müssen, könnte, wenn man es nicht schon wüsste, aus Filmen gelernt werden.
Während auf den ersten Blick bestimmte Filmsparten geradezu prädestiniert scheinen, sich mit dem Tod (was häufig eher meint: mit dem Sterben) auseinander zu setzen, liegt tatsächlich eher eine genrespezifische Behandlung des Gegenstandes vor, die dem Kriegsfilm oder dem Drama andere Darstellungsmodalitäten zugesteht als der Komödie, dem Musical oder eben dem Horrorfilm bzw. dem Thriller. Von besonderer Prägnanz sind in diesem Zusammenhang Dokumentarfilme, in denen der Tod per se ›realistischer‹ in Erscheinung zu treten scheint als bei fiktionalen Formaten. Das breite Spektrum dieser Repräsentationen könnte Auskunft über das gesellschaftliche Interesse geben, das Problem der Sterblichkeit durch die künstlerische Reflexion auf eine Weise anzugehen, die transzendentalen Ballast (meistens) vermeidet, die eine Prise Memento mori verstreut und mithilfe vielgesichtiger Gestaltungsstrategien die wohl zentralste lebensweltliche Krise ästhetisch so ver- und bearbeitet, dass sie eine überindivi-duelle Bedeutsamkeit erlangt. Daher sind auch Fragen nach der Personifikation des Todes im Film von Bedeutung.
In diesem Sinne sollen während der Tagung sozialwissenschaftliche Beiträge zum Verhältnis von Film und Tod vorgestellt und diskutiert werden, die sich mit verschiedenen Aspekten der filmischen Evokationen des Lebensendes befassen. Auch sozialwissenschaftlich motivierte Beitragsvorschläge aus den Kultur-, Medien- und Filmwissenschaften sind willkommen. Aufgegriffen werden können neben den genannten Aspekten auch Transgression, Gewalt, Schmerz, Folter sowie Verlust, Tröstung, Verbundenheit über den Tod hinaus und kindgerechte Darstellungen bzw. historisierende und filmessayistische Aufarbeitungen.
Angestrebt ist eine Präsenztagung an der Universität Passau. Die Teilnahme an der Veranstaltung ist kostenlos. Es ist eine Publikation der Vorträge der Tagung in Form eines Sammelbandes vorgesehen.
PROGRAMM:
Freitag, 18. November 2022
10:00 Uhr Eröffnung/Begrüßung
10:10 Uhr Thorsten Benkel (Passau)
»Ich sehe tote Menschen«. Sozialverhältnisse zwischen Leben und Sterben
10:45 Uhr Pause
11:00 Uhr Michael Fleig (Regensburg)
Über den Tod hinaus. Filmische Inszenierungen zur Mediengeschichte der Überwindung des Todes
11:35 Uhr Ekkehard Coenen (Weimar)
Authentizität, Methodizität und ›Cruelability‹ des Tötens im dokumentarischen Film
12:20 Uhr Gemeinsames Mittagessen (Lokal wird noch bekannt gegeben)
14:15 Uhr Melanie Pierburg (Hildesheim)
Death Watch. Das dystopische Sterben im Film
14:50 Uhr Matthias Meitzler (Passau)
Nekrophilie im Film
15:25 Uhr Pause
15:40 Uhr Christian Hißnauer (Berlin)
No time to die? Zur Zeitlichkeit des Todes in Film und Fernsehen
16:15 Uhr Jörg-Uwe Nieland (Friedrichshafen)
Sterben, Tod und Trauer im Sportdokumentarfilm. Eine Analyse von
Senna und Die dunkle Seite von Red Bull
16:50 Uhr Pause
17:05 Uhr Matthias Hoffmann (Saarbrücken)
Zero Dark Thirty. Tod und Töten als Sinngeneratoren
17:40 Uhr Lars Nowak (Erlangen)
Verfrüht begraben. Zu Roger Cormans Verfilmungen von Erzählungen
Edgar Allan Poes
18:30 Uhr Gemeinsames Abendessen im Restaurant »Innsteg«, Innstr. 13
20:30 Uhr Vorführung des Dokumentarfilms »Wundbrand – 17 Tage in Sarajevo«
im Passauer Unikino (geplant: inkl. Diskussion mit Regisseur Didi Danquart)
Samstag, 19. November
9:30 Uhr Jan Weckwerth (Göttingen)
Täter und ihre Gesellschaft. (Dis-)Kontinuitäten in seriellen Serienkillernarrationen
10:05 Uhr Andreas Wagenknecht(Mannheim)
Von »Seine Filme werden bleiben« bis »Wir haben mit einem Double gearbeitet und es nur von hinten gefilmt«. Über den (filmischen) Umgang mit dem Tod von Filmschaffenden und dessen gesellschaftliche Implikationen
10:40 Uhr Pause
10:55 Uhr Gabriel Geffert (Weimar)
Zum Verhältnis von Tod und Rausch in Gaspar Noés Enter the Void
11:30 Uhr Oliver Dimbath (Koblenz)
Wer sagt es den Hinterbliebenen? Filmische Interaktionsanalytik des Überbringens der schlechten Nachricht
12:05 Uhr Pause
12:20 Uhr Lutz Hieber (Hannover)
Gewalt, Sterben und Tod im postmodernen Film
12:55 Uhr Verabschiedung
Materialität und Präsenz
Evangelisches Kirchenforum Berlin, 28. Oktober 2022
In der Bestattungskultur lassen sich zahlreiche materielle Bezüge herstellen: Neben der dinglichen Ausstattung (z.B. Sarg, Grabstein) ist es vor allem der tote Körper, um den sich sepulkrale Zeremonien drehen. Er ist einerseits das Zentrum von Ritualen, wird aber andererseits durch die Beerdigung bzw. die Kremation unsichtbar gemacht. Lange Zeit wurden Körperreste als Reliquien verehrt – in der katholischen Kirche bis auf den heutigen Tag. Derzeit zeichnen sich neue Formen der Aneignung und Bedeutungsaufladung menschlicher Überreste ab. Die Veranstaltung (Vorträge mit der Möglichkeit zur Diskussion) geht den Erscheinungsformen von Materialität im Kontext von Sterben, Tod, Trauer und Gedenken nach.
Das Programm folgt demnächst.
Zum 125. Geburtstag eines sozialwissenschaftlichen Klassikers
Präsenzveranstaltung an der Universität Passau,
24./25. Juni 2022
Organisiert von Thorsten Benkel und Matthias Meitzler
Der Rang von Norbert Elias als soziologischer Klassiker ist unbestritten. Am 22. Juni 2022 jährt sich sein Geburtstag zum 125. Mal. Dieses Jubiläum soll als Anlass für eine Tagungsveranstaltung fungieren, der sich der subdisziplinären Anschlussfähigkeit des Elias’schen Gedankengebäudes widmet. Die Veranstaltung »Norbert Elias und…« dient dem Austausch über verschiedene Aspekte des Gesamtwerkes, das von den ersten, philosophisch angelegten Arbeiten bis hin zu den späten wissenssoziologischen Studien reicht. Gewiss ist Über den Prozess der Zivilisation Elias‘ einflussreichstes Buch, dem stehen jedoch zahlreiche, thematisch heterogene Publikationen gegenüber, ohne deren Berücksichtigung sich der Soziologe Elias nicht vollständig erfassen lässt. Dies gilt nicht zuletzt auch für die Erlebnisse und Umbrüche in seiner Biografie. In den Beiträgen der Tagung soll das Spektrum des Elias'schen Denkens abgebildet werden, um zu einer fruchtbaren Auseinandersetzung und Bewertung seines Oeuvres aus heutiger Sicht zu gelangen.
Nähere Informationen unter: https://wp-lehre.uni-passau.de/norbert-elias
PROGRAMM:
Freitag, 24. Juni 2022
13:20 Uhr Eröffnung/Begrüßung
13:25 Uhr Grußwort von Hermann Korte
PANEL 1
13:30 Uhr Joachim Fischer: Norbert Elias – ein Klassiker auch der Sozialtheorie?
14:00 Uhr Dieter Reicher: Was war vor dem Staat? Norbert Elias über Prozess
der Zivilisation in vorstaatlichen Gesellschaften
14:30 Uhr Pause
PANEL 2
14:40 Uhr Stefanie Ernst: Männer, Frauen und der ›Untergang des Patriarchats‹? Geschlechterdynamiken mit der
Prozesstheorie erforschen
15:10 Uhr Lutz Hieber: Elias und die Geschlechterbeziehungen
15:40 Uhr Pause
PANEL 3
15:50 Uhr Christoph Egen: Elias und Behinderung
16:20 Uhr Thorsten Benkel: Elias und das Blut. Zivilisationsgeschichte als Prozess der Domestizierung des Körpers
16:50 Uhr Pause
PANEL 4:
17:00 Uhr Jan Fuhrmann: Elias und das Regiment der Uhr- und Kalenderzeit
17:30 Uhr Matthias Meitzler: Elias und der Tod
18:30 Uhr Abendessen im Restaurant ›Innsteg‹ (Innstr. 13)
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Samstag, 25. Juni 2022
PANEL 5:
09:15 Uhr Peter Fischer: Methodologische Aspekte in Elias’ Historischer Soziologie
09:45 Uhr Adele Bianco: Norbert Elias und die Jugendlichen heute. Zwischen sozialen Chancen und Entzivilisierung
10:15 Uhr Pause
PANEL 6:
10:25 Uhr Mirco Spiegel: Elias und Deep Fakes
10:55 Uhr Nico Wettmann/Frederik Peper: Vom ›Menschen in der Natur‹.
Synthese von Natur und Kultur am Beispiel der digitalen Selbstvermessung des Schlafs
11:25 Uhr Pause
PANEL 7:
11:35 Uhr Sebastian Moser: Elias und die figurative Soziologie
12:05 Uhr Adrian Jitschin: Elias und soziale Kanons
12:35 Uhr Abschluss
Moderation: Leonie Schmickler und Julia Sellig
Zur Aktualität der Thanatosoziologie
Tagung des Arbeitskreises »Thanatologie« der DGS-Sektion »Wissenssoziologie«
Technische Universität Berlin, 24./25. März 2022 (online)
Die Thanatosoziologie widmet sich dem Verstehen und Erklären des gesellschaftlichen Umgangs mit dem Lebensende. Durch ihre Verortung an der Schnittstelle unterschiedlicher sozialwissenschaftlicher Subdisziplinen erfasst sie somit auch die übergeordneten Wissenskulturen des Todes. Im Zuge entsprechender Analysearbeit kristallisiert sich heraus, dass der Umgang mit Sterben, Tod und Trauer zu den elementaren Formen des gesellschaftlichen Lebens gehört – und dass dieser Umgang überwiegend aus sozial tradierten, sich permanent im Wandel befindlichen Wissensbeständen hervorgeht.
Die Tagung »Wissenskulturen des Todes. Zur Aktualität der Thanatosoziologie« soll Impulse zur (Neu-)Bewertung und (Neu-)Ausrichtung der deutschsprachigen Thanatosoziologie liefern. Sie wird organisiert vom 2020 institutionalisierten Arbeitskreis »Thanatologie«. Konkret werden drei wissenschaftliche Zielsetzungen verfolgt:
(1) Die Evaluation der diskursiven Dynamiken innerhalb der Thanatosoziologie. Dabei soll der Fokus auf die vergangenen Entwicklungen und den State of the Art gegenwärtiger (auch internationaler) sozialwissenschaftlicher Forschungen zum Lebensende gelegt werden. Welche Debatten wirken prägend? Inwiefern werden sie in Forschungspraxis übertragen? Welche neueren Erkenntnisse sind geeignet, Impulse zur Weiterentwicklung der Disziplin zu vermitteln?
(2) Die Offenlegung der Relevanzen und Herausforderungen der Thanatosoziologie. Für die vergangenen Jahre lassen sich Umbrüche und nähere Ausdifferenzierungen innerhalb der Thanatosoziologie verzeichnen. Noch vor weniger als einer Dekade wurden Krieg und Genozide, Sterbearmut, aktive Sterbehilfe und die Privatisierung und Professionalisierung der Sterbe- und Todesarbeit als gesellschaftsrelevante Arbeitsfelder benannt. Mittlerweile wird diese Reihe an Problemfeldern durch Studien zur Digitalisierung, zur Sepulkralkultur und zu institutionellen Herausforderungen fortgeführt. Welche gesellschaftsrelevanten Forschungsfelder tun sich hier auf? Welche methodischen Herausforderungen gehen damit einher?
(3) Die Frage nach der theoretischen Relevanz der thanatosoziologischen Forschung. Hier ist das produktive Verhältnis der Thanatosoziologie zur Allgemeinen Soziologie sowie zu anderen Sparten wie der Medizin-, Kultur-, Körper-, Religions- und der bereits erwähnten Wissenssoziologie auszuloten. Die Thanatosoziologie adaptiert nicht lediglich Konzepte aus vorhandenen Theorieangeboten und wendet diese auf ihre Untersuchungsgegenstände an. Vielmehr generiert sie einen Mehrwert sowohl für andere Subdisziplinen wie auch für die soziologische Theoriebildung. Welche konkreten Formen der Inspiration und wechselseitigen Vitalisierung lassen sich an dieser Schnittstelle abbilden?
Zugang und Informationen unter:
https://wp-lehre.uni-passau.de/wissenskulturen-des-todes
PROGRAMM:
Donnerstag, 24. März 2022
*
13:00 Uhr Eröffnung/Begrüßung durch den Arbeitskreis Thanatologie
13:15 Uhr Keynote – Hubert Knoblauch: Vom Nahtod zur Thanatologie
*
PANEL 1: Sterben I Moderation: Ursula Engelfried-Rave
13:50 Uhr Clemens Albrecht und Niklas Barth: Wissen und Dissimulation. Ideale und Strategien in der Kommunikation
mit Sterbenden
14:20 Uhr Anna Bauer: Ausgedehnte Gegenwarten. Zur thanatosoziologischen Relevanz der gesellschaftstheoretischen
Diagnose einer Gesellschaft der Gegenwarten
14:50 Uhr Pause
*
PANEL 2: Sterben II Moderation: Michaela Thönnes
15:05 Uhr Daniel Schönefeld: Sterben als interaktive Herstellung. Forschungsansätze
und Theoretisierungspotentiale konversationsanalytischer Studien in der Thanatosoziologie
15:35 Uhr Lilian Coates: Professionelle Sterbeexpertise und die Orientierung am ›wissenden‹ Körper. Irritationspotenziale
am Beispiel der künstlichen Ernährung im stationären Hospiz
*
PANEL 3: Sterben III Moderation: Melanie Pierburg
16:05 Uhr Stephanie Stadelbacher: Was das Sterben zuhause über den Wandel des Privaten verrät
16:35 Uhr Matthias Hoffmann: Sterben. Das moderne Individuum und die Angst vor der Zerstörung seines
zivilisatorischen Niveaus
17:05 Uhr Pause
*
PANEL 4: Recht und Theorie Moderation: Ursula Engelfried-Rave
17:20 Uhr Leonie Schmickler: Die Rechtsverhältnisse der Sterbehilfe. Probleme und Perspektiven
17:50 Uhr Thorsten Benkel: Zur Epistemologie thanatologischer Sozialforschung
18:20 Uhr Abschluss Tag 1
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Freitag, 25. März 2022
09:00 Uhr Begrüßung Tag 2
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PANEL 5: Kindheit und Lebensende Moderation: Michaela Thönnes
09:00 Uhr Miriam Sitter: Zur Relevanz der Thanatosoziologie für die Soziologie der Kindheit und vice versa
09:30 Uhr Stephanie Winter: Zwischenleiblichkeit und Kindertrauer. Wie Kinder den Tod eines nahestehenden Menschen
spüren
10:00 Uhr Debora Niermann: Childing and Adulting in Dying. Wie Krankheits- und Sterbewissen Generationenverhältnisse
(nicht) konterkariert
10:30 Uhr Pause
*
PANEL 6: Bilder vom Tod Moderation: Melanie Pierburg
10:45 Uhr Patrick Budenz: Orte des Sterbens. Fotografische Annäherungen
11:15 Uhr Matthias Meitzler: Darf ich das zeigen? Die Leiche als visuelle Herausforderung
11:45 Uhr Ekkehard Coenen: Die Mediatisierung des Tötens. Gewalt und Tod in Online-Video-Communitys
*
12:15 Uhr Abschlussvortrag – Tony Walter: Social Change, Loss, Planet Earth
12:45 Uhr Abschluss
Empirisches Forschen in außergewöhnlichen Kontexten
Sozialwissenschaftliche Tagung an der Universität Passau, 11./12. Juni 2021
»Wissen gibt es nur vom Verborgenen.« (Pierre Bourdieu)
Die Soziologie ist gekennzeichnet von der systematischen Selbstbeauftragung, das Unhinterfragte zu hinterfragen. Diese Irritations- und Befremdungsarbeit betrifft im besten, weil effektivsten Fall nicht nur Forschungsrezipienten, sondern auch die Forschenden selbst. Denn das Vertraute entpuppt sich am besten im Lichte einer artifiziellen Distanz als etwas, das überhaupt erst als ›vertraut‹ begriffen und thematisiert werden kann. Obwohl das ›Feld‹ vermeintlich mit der Beschreibung des Feldes zusammenfällt, besteht zwischen analytisch-systematischen bzw. berufsreflexiven Alltagsdeutungen und dem routinierten Durchleben von Alltäglichkeit bekanntlich eine große Diskrepanz.
In methodologischer Hinsicht stellt sich (nicht nur) in der Soziologie immer schon die Frage nach der Bestimmung tatsächlicher Unvertrautheit – ganz zu schweigen von der Frage nach den Instrumenten, die diese Unvertrautheit herbeiführen können. Nicht alles, was unerforscht und auf den ersten Blick bemerkenswert erscheint, rechtfertigt umfangreiche Recherchearbeit; umgekehrt sind die Themenfelder zahlreich, die trotz bereits erfolgter akribischer Durchleuchtungen nach wie vor ertragreich sind. Wie lässt sich also der Grad an Unerforschtheit bestimmen, der fruchtbar, innovativ, aber auch anschlussfähig und, sagen wir: ›realistisch‹ genug ist, um die Mühen sozialwissenschaftlicher Nachforschung zu rechtfertigen? Und wie lässt sich überhaupt bestimmen, wie sich dies bestimmen lässt?
Zu reflektieren ist außerdem, von welcher Beobachtungsposition aus sich das Etikett der Ungewohntheit zuweisen lässt und für welchen Adressatenkreis eine solche Zuschreibung Verbindlichkeit zu generieren vermag? Schließlich sind empirische Forschungen unter speziellen Populationen von dem Umstand geprägt, dass die Akteure des Feldes mit der Binnennormativität ihres Handlungsraums per se wesentlich vertrauter sind, als es neugierige Sozialforscherinnen und Sozialforscher auch nach einiger Gewöhnung sein können.
Anders verhält es sich bei der Anwendung autoethnografischer Forschungsstrategien. Hier wird das Vertraute gezielt unvertraut gemacht, mit der Folge, dass neue Figurationen von Ungewohnheit entstehen: Im Lichte der Ethnografie treten Aspekte aus dem Schatten der Nichtbeachtung, die schon zuvor präsent, in ihrer Erforschbarkeit aber schlichtweg nicht identifizierbar waren. Die Normativität der Grenzziehung zwischen gewöhnlich und ungewöhnlich obliegt in solchen Fällen nicht selten der Bestimmung durch das forschende Subjekt, sie muss jedoch trotzdem als intersubjektiv nachvollziehbarer Wissensbestand kommuniziert (bzw. publiziert) werden.
Siehe https://erkundungen-des-ungewohnten.uni-passau.de/
PROGRAMM:
Freitag, 11. Juni
Eröffnung:
13:15 Begrüßung
13:25 Thorsten Benkel (Passau)
Wissen vom Verborgenen. Rahmenbedingungen soziologischer Erkenntnissuche
›outside the box‹
13:55 Matthias Meitzler (Passau)
Ungewöhnliches (Er-)Forschen. Über die Subjektivität des Beobachters und die
Grenzen der Zumutbarkeit
Panel 1:
14:25 Michael Ernst-Heidenreich (Koblenz)
Die Irritation des Selbstverständlichen erforschen. Einige methodische
Implikationen einer prozessualen Soziologie situativer Nichtalltäglichkeit
Pause 14:55 – 15:10
15:10 Melanie Pierburg (Hildesheim)
Autoethnografie. Das ungewohnte Selbst fordert die Wissenschaft heraus
15:40 Nora Sophie Schröder (Augsburg)
Situatives Scheitern und sein verborgenes Potenzial bei der Feldforschung.
Für eine radikalere Reflexivität in qualitativer empirischer Forschung
16:10 Christoph Nienhaus (Bonn)
Normalisierungsethnografie. Zur juristischen Konstruktion gewöhnlicher
Erwartungen
16:40 Judith Cornelia Huber / Nadine Müller (Jena)
Vorbereitungen auf das Ungewohnte. Empirisches Forschen zu Covid-19
Pause 17:10 – 17:25
17:25 KEYNOTE: Manfred Prisching (Graz)
Gewöhnliches und Ungewöhnliches. Zur Soziologie der Irritation
Samstag, 12. Juni
Panel 2:
10:00 Ingmar Mundt (Passau)
Die Zukunft und das Ungewohnte. Ein methodenorientierter Forschungsbericht zur
Konstruktion der Zukunft in der Lebensgeschichtlichkeit junger Erwachsener
10:30 Frank-Holger Acker (Hannover)
A Cop at the University. Ein Krisenexperiment zum Verhältnis von Polizei und
Wissenschaft
11:00 Julia Sellig (Passau)
Multiple Realität als das Gewohnte. Diabetiker*innen und Medizintechnik
11:30 Ekkehard Coenen (Weimar)
(Außer-)Gewöhnliche Bilder der Gewalt
Pause 12:00 – 12:30
Panel 3:
12:30 Christian Thiel (Augsburg)
Erfundene Wirklichkeiten. Empirisches Forschen in Täuschungskontexten
13:00 Leonie Schmickler (Passau)
Das Hymen der Gesellschaft. Recherchen zur sozialen Relevanz der
Genitalchirurgie
13:30 Teresa Geisler (Berlin)
Chemsex – Sondierungen des diskursiven Areals
14:00 Andreas Ziemann (Weimar)
Die Steuerfahndung im Bordell. Ethnografische Erkundungen unbekannter
Handlungen, Maßnahmen und Selbstbeschreibungen einer teilautonomen
Vollzugsbehörde
Soziale Gedächtnisse am Lebensende
Universität Passau, 11./12. März 2021
Jahrestagung des Arbeitskreises »Gedächtnis – Erinnern – Vergessen« der DGS-Sektion »Wissenssoziologie«
Organisiert von Thorsten Benkel, Oliver Dimbath und Matthias Meitzler.
Programm
Donnerstag, 11. März 2021
Zur Eröffnung
10:30 – 10:45 Thematische Einführung der Veranstalter
10:45 – 11:15 Thorsten Benkel / Passau
Gedächtnispolitik. Institutionen und Rituale des (Nicht-)Erinnerns
PANEL: Abschließen als Vorbereitung des Sterbens
11:15 – 11:45 Sarah Peuten / Augsburg
Würdezentrierte Therapie. Über gelingendes Erinnern am Lebensende
11:45 – 12:15 Melanie Pierburg / Hildesheim
»Auch ihr erinnert euch.« Biografische Repräsentationen in der Hospizausbildung
MITTAGSPAUSE 12:15 – 13:30
PANEL: Bestattungs- und Sepulkralkultur
13:30 – 14:00 Matthias Meitzler / Passau
Postexistenzialität. Der Friedhof als Gedächtnisraum
14:00 – 14:30 Leonie Schmickler / Passau
Materielle (Un-)Vergänglichkeit. Die symbolische Umdeutung von Artefakten
im Trauerprozess – am Beispiel des Aschediamanten
PANEL: Formen des Gedenkens
14:30 – 15:00 Jan Ferdinand / Berlin
»Die Toten leben in uns, wir mit den Toten weiter.« Zum Übergang vom
›kommunikativen‹ ins ›kulturelle Gedächtnis‹ bei Jan Assmann
15:15 – 15:45 Nina Leonhard / Potsdam
Militärisches Totengedenken. Gedächtnissoziologische Überlegungen am
Beispiel der Bundeswehr
PAUSE 15:45 – 16:00
16:00 – 16:30 Ekkehard Coenen / Weimar
Infrastrukturen des Erinnerns und Mitsein mit den Getöteten. Wissens-
soziologische Beobachtungen am Beispiel der Gedenkstätte Buchenwald
16:30 – 17:00 Carsten Heinze / Koblenz
Das Spannungsverhältnis zwischen Orten des Todes und Überlebend(den) in
dokumentarischen Filmen. Bürgerkrieg und Genozide im 20. Jahrhundert
Freitag, 12. März 2021
PANEL: Anfang und kein Ende
10:00 – 10:30 Nico Wettmann / Gießen
Erinnerung, Phantasmen, Vergessen. Fehl- und Totgeburten aus
zeitsoziologischer Perspektive
10:30 – 11:00 Oliver Dimbath / Koblenz
Unsterblichkeit
PANEL: Auflösen als Bewältigung des Nachlasses
11:00 – 11:30 Gerd Sebald / Erlangen
Familiengedächtnis, Tod und Erbe
11:30 – 12:00 Christoph Nienhaus / Bonn
Erbschaft als Erinnerung. Rechtsnachfolge und Testierfreiheit im Spiegel
der soziologischen Theorie
Zum Abschluss
12:00 – 12:15 Abschließende Worte der Veranstalter
Der ursprüngliche Call for Papers
Wer von Erinnerung spricht, darf vom Tod nicht schweigen. Das Bewahren von Wissen, von Ereignissen, aber auch von Empfindungen usw. gewinnt gerade durch die prinzipielle Vergänglichkeit des menschlichen Handelns und Erinnerns seine Relevanz. Festschreibungen etwa durch mediale Aufzeichnung oder mündliche Weitergabe verleihen folglich nicht nur dem sonst Vergessenen eine gegenwärtige Präsenz, sondern transzendieren zugleich das Problem des Sterbens von Erinnerungsträger*innen.
Der Tod – die »Grenzerfahrung par excellence« (Berger/Luckmann) – bedeutet in diesem Zusammenhang zunächst, dass Inhalte verloren gehen, die im subjektiven Gedächtnis gespeichert waren. Aufbewahrt bleibt das, was an materiellen ›Beweisstücken‹ (Hinterlassenschaften, Spuren, Erbe, aber auch die Leiche) über das Lebensende Einzelner hinaus vorhanden ist – und das, was von anderen erinnert wird. Da der ursprünglich relevante Sinnkontext ohne konkrete Erinnerung mitunter unzugänglich ist, fehlt den Überlebenden bzw. den Nachkommen beispielsweise im archäologischen Zusammenhang häufig die Kompetenz, verloren gegangenes Kontextwissen adäquat zu rekonstruieren. Vergangenheit wird, so scheint es, durch Erinnerungsverlust undurchsichtig.
Die Frage nach der Herkunft des Menschen (bzw. des Einzelnen) sowie nach dem Ursprung der Dinge (bzw. des einzelnen Gegenstands) leitet immer wieder zu dem Versuch, die Umstände der Produktionsweisen des vergangenen Sozialen anhand seiner Überreste zu ergründen. Antworten, die von hiermit beauftragten Instanzen – in der modernen Welt: den Wissenschaften – gegeben werden, dienen der Orientierung in der jeweiligen Gegenwart und sind damit: Wissen.
Der Zusammenhang von Sterben und Gedenken, von Tod und Gedächtnis, von Wissen und Spuren macht die Relevanz des sozialen Erinnerns deutlich: Persönliche Rekonstruktionen fallen zusammen mit sozial vermittelten Bezugnahmen auf die Vergangenheit, aus denen sich die Strukturierung des individuellen Gedächtnisses erst ergibt. Folglich ist nicht jedes Gedächtnis ein unabhängiger ›Vergangenheitsspeicher‹; vielmehr ist individuelles Erinnern vom sozialen Gedächtnis geprägt. Die Erinnerung an die Lebenswelt Verstorbener ist deshalb keine authentische Dokumentation, sondern durch gesellschaftlich tradierte Konzepte des Erinnerns (oder auch Nicht-Erinnerns) vorgeprägt.
In der Erinnerung von significant others sind die Toten auch dann noch präsent, wenn sie ihre gesellschaftlichen Rollen schon lange nicht mehr ausüben. Diese Form der parasozialen ›Fortexistenz‹, die unter wissenssoziologischen Gesichtspunkten schon bei Max Scheler auftaucht, wird bei prominenten Verstorbenen konterkariert, an die man sich auch dann erinnern kann, wenn man ihnen niemals begegnet ist. In beiden Fällen ändert der Statusübergang vom Leben in die Sphäre des Nichtlebens den Modus der künftigen Bezugnahme, der überdies von sozialen, religiösen oder ideologischen Faktoren abhängt.
In der Kulturgeschichte stehen die erinnerten Toten neben dem Nichterinnerten, und Vergessensimperative (etwa die damnatio memoriae in der römischen Antike) waren bisweilen Teil staatlich verordneter Gedächtnispolitiken. Hinzu kommen Konjunkturen des Erinnerns. Es gibt historische Persönlichkeiten, die heute erinnert werden, denen aber über lange Zeiträume weitgehend nicht gedacht wurde. Durch ›Nicht-Vollzug‹ kann Erinnern zur postmortalen Nicht-Präsenz führen, die gleichwohl durch Ausgrabungen, genealogische Recherchen, Neubewertungen usw. wieder revidierbar ist.
Für die Konferenz »Sterblichkeit und Erinnerung« sind vor diesem Hintergrund Beiträge willkommen, die das Verhältnis von Erinnerung und Vergangenheitsbezug im Spannungsfeld von Sterblichkeit, Tod und Modellen von ›Gedächtnisunsterblichkeit‹ thematisieren. Beispiele für Bezugnahmen können u.a. sein:
Kulturelle und materielle Referenzen auf Sterben, Tod, Wissen und Erinnerung:
- Die Relevanz sozialer Gedächtnisse im Zusammenhang mit Krieg, Katastrophen und kollektiven Traumata
- Die Reflexivität historischer Quellen im Kontext von Erinnern und Vergessen
- Die Tradierung gesellschaftlich wichtigen Wissens im Verhältnis zum Vergessen (Absterben) von Wissensinhalten
- Sterbeprozesse und Lebensrückschau in institutionellen Rahmungen
- Die Umfunktionalisierung von Alltagsgegenständen zu (postmortalen) Erinnerungsartefakten
Formen und Funktionen personalisierten oder institutionalisierten (Toten-)Gedenkens:
- Theoretische und empirische Untersuchungen im Feld der Bestattungskultur
- Kulturelle Spezifika und Grenzen des Totengedenkens
- Erinnerungstechnologien in Bezug auf (prominente/ikonische) Persönlichkeiten
- Gedenktage, Denkmäler, Hashtags, Schweigeminuten und andere Rituale
- Vergewisserungen der Herkunft (Ahnengalerien, Stammbäume)
Probleme mit der Persistenz des Vergänglichen:
- Die Bedeutung von medialen bzw. visuellen Erzeugnissen (Fotografien, Todesanzeigen, Tondokumente) in ihrer Wirkung auf das Erinnern an Verstorbene
- Erinnerung als Todesüberwindung und die Evokation von Unsterblichkeit durch (digitale) Gedächtnismedien bzw. durch KI-gestützte Technologien
- Tote Körper als Gedächtnisgeneratoren, etwa im Zusammenhang mit Knochen-
funden und Reliquien, aber auch in der Forensik - Gespenster, Heimsuchungen, Untote und die Idee der Unsterblichkeit
Vom Körper zum Kristall
Sozialwissenschaftliche Fachtagung im Evangelischen Kirchenforum Berlin (Georgensaal), 31. Januar 2020
Gegenwärtig zeichnen sich in der Bestattungskultur diverse Umbrüche ab. Die Veranstaltung möchte darüber aufklären, dass zeitgenössische Formen von Trauerbewältigung und -verarbeitung zunehmend populärer werden, weil sie Hinterbliebene im Trauerfall in die Situation versetzen, sich die Rituale des Abschieds selbstständig anzueignen.
Mit Vorträgen zum Thema:
- Das Schicksal des Körpers in Zeiten der Autonomie
- Einstellungen nach dem Lebensende. Auszüge aus Gesprächen mit Hinterbliebenen
- Deutung und Dynamik von Interviewsituationen. Das Beispiel Trauer
- »Diamonds are a girl's best friend«. Edelsteine aus Kremationsasche
Sozialwissenschaftliche Fachtagung an der Universität Passau, 5./6. Juli 2019
Der Umgang mit dem Lebensende wird von jeher von Ritualen begleitet. Zu den Charakteristika entsprechender symbolischer Handlungen gehört, dass sie – bald subtil und bald abrupt – Wandlungsprozessen unterliegen. Die damit verbundenen Transformationsvorgänge lassen sich anhand des Wandels der Bestattungs- und insbesondere der Friedhofskultur plausibel nachzeichnen.
Während die Verwandlung der Ritualformen einerseits Herausforderungen birgt, stecken darin andererseits Chancen. Mag auch der Nicht-mehr-Leben endgültig sein – der kulturelle Status quo von Sterben, Tod und Trauer ist es nicht. Dies zu realisieren, ist sowohl eine Aufgabe für ExpertInnen in den damit verbundenen Berufsbranchen, wie auch für wissenschaftliche Beobachter.
Früher war der Tote eine Leiche; heute ist er ein Individuum. Früher war der Bestatter ein Dienstleister; ist er heute ein Erfüllungsgehilfe, oder ein Ritualdesigner? Früher war der kirchliche Beistand im Todesfall obligatorisch; heute ist er eine unverbindliche Option. Weitere Ausdifferenzierungen lassen sich leicht finden, Erweiterungen sind zu erwarten, beispielsweise durch das Internet, dessen Einfluss auf die Sepulkralkultur kaum zu überschätzen sein dürfte. Die kommenden Trauernden sind digital natives. Für sie sind visuelle Referenzen auf die Verstorbenen keiner spezifischen Gedenksituation geschuldet, sondern ohnehin Alltagsgeschäft. Vergänglichkeit ist für diese Generation eine Frage des Speicherplatzes.
Vor dem Hintergrund umfangreicher empirischer Studien an der Universität Passau zum Verhältnis von Tod und Gesellschaft, verfolgt die Tagung das Ziel, wissenschaftliche als auch praxisorientierte Perspektiven zusammenzubringen, um zu diskutieren, welche gegenwärtigen Trends an Boden gewinnen und welche zukünftigen Herausforderungen sich bereits abzeichnen. Um die Breite des Spektrums an akuten Entwicklungen abzubilden, dürfen der Ritual- und der Todesaspekt gerne auch im weiteren Sinne thematisiert werden, z.B. im Hinblick auf medizinische oder religiöse Implikationen.
FREITAG, 5. Juli
14:00 – 14:05 Christian Thies (Passau)
Grußwort
14:05 – 14:30 Thorsten Benkel (Passau)
Ritualismen. Die performative Verwaltung von
Umbrüchen in der Sozialstruktur
14:30 – 15:00 Matthias Meitzler (Passau)
Von heißen Kulturen und kalten Körpern.
Temperatursoziologische Überlegungen
15:15 – 17:15 Panel 1
15:15 – 15:45 Michaela Thönnes (Zürich)
»Give me a gun – I‘ll shoot this rabbit.« Wie strukturelle
Bedingungen dem Personal nur einen subtilen Wandel
ihrer Kultur zur Individualisierung des Sterbens
erlauben
15:45 – 16:15 Niklas Barth ● Katharina Mayr ● Andreas Walker
(München)
Organisierte Rituale – Ritualisierte Reflexion. Zur
Abschiedskultur auf Palliativstationen und in Hospizen
16:15 – 16:45 Ursula Engelfried-Rave (Koblenz)
Trauerbegleitung am Arbeitsplatz – eine Heraus-
forderung für Organisationen
16:45 – 17:15 Nico Wettmann (Gießen)
»Da sind auch Rituale wichtig.« Zur Transformations-
arbeit von Hebammen bei pränatalen Verlusten
17:15 – 17:30 Pause
17:30 – 18:00 Thomas Klie (Rostock)
»Er ist das Funkeln von ihr«. Eine Fallanalyse zur
Diamantpressung
SAMSTAG, 6. Juli
10:00 – 10:30 Leonie Schmickler (Passau)
An den Grenzen der Selbstbestimmung.
Diskurse über Sterbehilfe
10:30 – 12:30 Panel 2
10:30 – 11:00 Frank Thieme ● Susanne Stachowitz (Bochum)
Die Kluft. Zur Polarisierung der Bestattungs-
kultur
11:00 – 11:30 Constanze Petrow (Geisenheim)
Jede_r bleibt für sich allein? Friedhöfe als
Kommunikations- und Alltagsorte
11:30 – 12:00 Dorothea Mladenova (Leipzig)
Das optimierte Ableben und die Airbnb-isierung des
Bestattungswesens. Aktuelle Entwicklungen in Japan
12:00 – 12:30 Ekkehard Knopke (Weimar)
Über Bestattungsmessen – oder: Die Eventisierung
des Bestattens
12:30 – 13:00 Pause
13:00 – 13:30 Thorsten Benkel ● Matthias Meitzler
Streifzüge durch das thanatologische Unterholz
Hier geht's zum Tagungsbericht.
Sozialwissenschaftliche Zugänge zwischen Lebenswelt und Transzendenz
Sozialwissenschaftliche Fachtagung an der Universität Passau
in Zusammenarbeit mit der Sektion ›Wissenssoziologie‹ der Deutschen Gesellschaft für Soziologie
Sterben, Tod und Trauer scheinen in der gegenwärtigen soziologischen Debatte keine vordergründigen Themen zu sein; tatsächlich jedoch haben sich bereits die Gründerväter der Disziplin (Weber, Durkheim, in geringerem Maße auch Simmel) mit dem Lebensende und seinen gesellschaftlichen Implikationen befasst.
Später wurden diese Arbeiten punktuell fortgesetzt; hier ist insbesondere das Interesse von wissenssoziologisch orientierten SoziologInnen auffallend (Schütz, Scheler, Elias, Luhmann, Lindemann, Knoblauch u.a.). Schon Berger und Luckmann sprechen von der »Grenzsituation per excellence«, welche die »Gewißheit der Wirklichkeit des Alltagslebens« bedrohe. Das wissenssoziologische Interesse am Lebensende ist nicht überraschend, denn Sterben, Tod und Trauer sind keineswegs substanzielle ›Leiberfahrungen‹ bzw. anthropologisch vordefinierte Verhaltensmechanismen. Tatsächlich handelt es sich um Praktiken, die, durchaus körperspezifisch, über Sozialisationserfahrungen als bloß vermeintliche ›Natur des Menschen‹ verinnerlicht werden. Mithin ist das Ende des Lebens weit mehr als ein biologisch-reduktionistisch interpretiertes Ende der Funktionstüchtigkeit des menschlichen Körpers. Der Tod und seine Prozesse spielen sich eben nicht unabhängig von Aushandlungen und Sinnsetzungen ab.
Beispielsweise lässt sich plausibel rekonstruieren, dass Todesfeststellungsverfahren – eine Leistung der Expertenwissenskultur Medizin – überhaupt erst zu einem Verständnis dazu führen, was das Leben vom Tod trennt. Foucault hat diesen Zusammenhang als eine Art Verschiebungsphänomen gewürdigt: »Der Tod ist eine schmale Linie«, die je nach Situation oder kultureller Rahmung in die eine oder in die andere Richtung verlagert werden kann. Untersuchungen etwa zur sozialen Konstruktion des Hirntodes bzw. zur Grenzziehung des Sozialen am Beispiel ›unsicherer‹ Körperzustände konnten seither unterstreichen, dass die Frage, wie lebendig bzw. wie tot jemand ist, eine wissensabhängige Entscheidung ist – und nicht ein selbsterklärendes Faktum.
Die Tagung will soziologische Perspektiven auf Sterben und Tod insgesamt werfen und dabei vor allem den Übergangsbereich zwischen einer körperfixierten und einer beinahe schon ›körpertranszendenten‹ Umgangsweise mit dem Tod (wie etwa durch die Thematisierung in Internet-Trauerforen, durch Online-Friedhöfe und alternative Memorialpraktiken usw.) ausloten. Ansätze der Wissenssoziologie sollen als Leitfaden fungieren, um theoretische wie empirische Forschung einem interessierten Publikum vorzustellen. Willkommen sind in diesem Sinne auch Beiträge aus medizin-, religions- und kultursoziologischer Perspektive, die sich mit dem Verhältnis von Körper, Wissen und Tod befassen.
Tagungsort: ITZ/International House, Innstr. 43
FREITAG, 25. MAI
14:00 – 14:05 Begrüßung
14:05 – 14:45 Thorsten Benkel (Passau)
DIE WEGGEFÜRCHTETE IDEE. Frühe und späte
Ansätze zu einer Wissenssoziologie des Todes
14:45 – 15:30 Werner Schneider (Augsburg)
WISSEN UND PRAXIS DES ›STERBEN-MACHENS‹.
Eine dispositivanalytische Perspektive auf das Lebensende
15:30 – 15:45 Pause
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15:45 – 17:15 Panel 1
15:45 – 16:15 Matthias Meitzler (Passau)
»…ein Problem der Lebenden«. Zur empirischen
Aktualität von Norbert Elias‘ Todesperspektive
16:15 – 16:45 Zsofia Schnelbach (Passau)
Die Symbolkraft des kindlichen Körpers bei stiller Geburt
16:45 – 17:15 Patrick Reitinger (Bamberg)
Verräumlichung von Körperlichkeiten. Zur
Territorialisierung von Leben und Tod
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17:15 – 17:30 Pause
17:30 – 18:15 Hubert Knoblauch (Berlin)
TRANSMORTALITÄT. Organspende, Tod und tote Körper
in der heutigen Gesellschaft
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SAMSTAG, 26. MAI
10:00 – 12:00 Panel 2
10:00 – 10:30 Ulrike Wohler (Hannover)
»Aufforderung zum Tanze«. Sterben und Tod zwischen sinnlicher
Erfahrung, medizinischer Versorgung und Todestabu
10:30 – 11:00 Ursula Engelfried-Rave (Koblenz)
Trauer-Tattoos. Transzendenzen auf der Haut?
11:00 – 11:30 Ekkehard Knopke (Weimar)
Zur kommunikativen Konstruktion von Geschlecht im
professionellen Umgang mit den Toten
11:30 – 12:00 Katharina Mayr/Niklas Barth (München)
Kranke Körper, sprechende Personen. Bewusstes Sterben in der
multiprofessionellen Sterbebegleitung
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10:00 – 12:00 Panel 3
10:00 – 10:30 Lea Lehner (Passau)
Suizid, Habitus und Feld. Der Selbstmord bei Bourdieu
10:30 – 11:00 Miriam Sitter (Hildesheim)
»Manche Menschen glauben, dass sie dort als Engel bei Gott sind«.
Himmlische Imaginationen für trauernde Kinder als tröstliche
Verbindung zu ihren Verstorbenen
11:00 – 11:30 Isabelle Bosbach (Bochum)
Kryonik – Leben über den Tod hinaus?
11:30 – 12:00 Melanie Pierburg (Hildesheim)
Sterben spielen. Sterbekonstruktionen im Vermittlungskontext
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12:00 – 12:30 Pause
12:30 – 13:15 Patrik Budenz (Berlin)
DER TOD IM BILD. Ein fotografischer Blick
13:15 – 14:00 Ronald Hitzler (Dortmund)
EMPFINDUNGEN UND KUNDGABEN VON TRAUER.
Zur Sinnwelt des Lebens nach dem Tod
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